Integration

Ian Karan Integration vom Feinsten

So einer müsste für Angela Merkel eigentlich ein politisches Geschenk sein: ein Einwanderer, der es zum Hamburger Wirtschaftssenator gebracht hat; der Deutschland für das beste Land überhaupt hält; der glaubt, dass hier jeder sein Glück schmieden könne und deswegen die Bringschuld bei den Migranten liege.Für eine Kanzlerin, die im Wutgeheul der Sarrazin-Debatte die Modernisierung ihrer Partei in Sachen Einwanderung verteidigen muss, hätte Ian Karan, 71, parteilos, einen idealen Vorzeigeminister abgeben können. »Hat sie persönlich signiert«, sagt er und deutet auf ein Foto in seinem Büro, das ihn mit der Kanzlerin zeigt. »Für Ian Karan«, steht darauf, »mit allen guten Wünschen«. Aber da wird die Sache zwischen Merkel und ihm schon kompliziert.Inmitten des politischen Schlagabtausches um Zuwanderungsstopp, Leitkultur und Integrationsverweigerer ist es eigenartig ruhig um die beiden einzigen deutschen Landesminister mit Migrationshintergrund, Aygül Özkan in Niedersachsen und Ian Karan in Hamburg – beide berufen von CDU-Regierungschefs. Hier ein vorsichtiges Plädoyer für die Einführung der Greencard, dort ein sachdienlicher Hinweis auf mangelhafte frühkindliche Förderung für Migranten – das sind seltsam zaghafte Wortmeldungen in der Kakophonie eines seltsam aufgeschreckten Einwanderungslandes. Was unter anderem daran liegen mag, dass sich beide Vorzeige-Migranten frühzeitig in die Bredouille gebracht haben.Özkans medialer Höhenflug als erste Landesministerin türkischer Herkunft brach jäh ab, als sie kurz nach Amtsantritt in einem Interview erklärte, dass weder Kopftuch noch Kruzifix etwas im Klassenzimmer zu suchen hätten. Ein vertretbarer Standpunkt, den die CDU, ihre eigene Partei, aber als Frontalangriff einer Muslimin auf das große C verstand. Karans Einstieg in die Politik Ende August drohte noch vor seinem Amtseid zu scheitern.Der Hamburger »Container-King«, der Millionen mit dem Verleih von Schiffscontainern gemacht hatte, war ein Society-Liebling. Bis sich herausstellte: Karan hatte seine Biografie retuschiert. Und er hatte nicht nur großzügig an die CDU, an Bildungsprojekte und Migrantenvereine gespendet, sondern auch an den ehemaligen Innensenator und Rechtspopulisten Ronald Schill. Später unterstützte er auch die Gegner der Hamburger Schulreform finanziell. Das politische Herzstück des schwarz-grünen Senats wurde mit einem Volksentscheid im Juli abgeschmettert.Aus dem »Container-King« wurde »Hamburgs Münchhausen«. In der Bürgerschaft ging eine Karikatur um, auf der Karan auf einer Kanonenkugel über die Dächer der Stadt fliegt, die Gewerkschaften forderten seinen Amtsverzicht, die Medien zweifelten daran, ob einer wie er Senator werden könne. Quereinsteiger haben es nie leicht in der Politik. Aber so schwer wie Karan hatte es sich schon lange keiner mehr gemacht.Das ist jetzt bald drei Monate her. Ian Karan sitzt in seinem Amtszimmer und blickt auf Dächer und Brücken und auf die Herausforderung, eine Behörde zu leiten. Er ist ein kleiner, agiler Mann, der – das hört er öfter – eine gewisse Ähnlichkeit mit Marcel Reich-Ranicki hat. Allerdings ist er deutlich besser gelaunt. Mittlerweile hat er sehr vorsichtig Thilo Sarrazins »pauschale Thesen« über Muslime kritisiert und vom Bund Unterstützung für den Hamburger Hafen angefordert. Er will auch beruflich qualifizierte Ausländer fördern. Es scheint, als habe er sich ein wenig von der öffentlichen Schelte erholt.Ian Karan wirkt entwaffnend ehrlich, bereitwillig räumt er ein, die Härte des Politiker-Daseins völlig unterschätzt zu haben. Er lobt die Professionalität des grünen Koalitionspartners und tadelt die jüngsten migrationspolitischen Vorstöße aus dem Süden Deutschlands. Als »nicht sehr hilfreich« bezeichnet er die Forderung des bayerischen Ministerpräsidenten Horst Seehofer, die Zuwanderung zu stoppen. »Es gibt halt immer wieder Politiker, die in die unterste Schublade greifen, wenn sie in Bedrängnis geraten sind.«Das ist mal eine Aussage. Und schon wieder ein Widerspruch: Die Seehofersche Schublade liegt nicht ganz so weit unten wie die des ehemaligen Innensenators Schill. Der beschuldigte einst Zuwanderer, »den deutschen Wohlstand zu verfrühstücken«. Schill, entgegnet Karan, »hat mir damals imponiert, weil er kompromisslos gegen straffällige Ausländer vorgehen wollte«. Wobei für Karan die Betonung auf »Ausländer« liegt. Ein straffälliger Ausländer reiche, um ein schlechtes Licht auf die ganze Migrantengemeinde zu werfen. Anscheinend findet Karan, man müsse den Ruf der Migranten mit der Methode Schill verteidigen. Er klingt nach jemandem, der sich trotz »Tellerwäscher wird Millionär«-Biografie angreifbar wähnt.Geboren wurde Karan 1939 in Sri Lanka, damals Ceylon, als Waise wuchs er bei der Großmutter auf. Mit 17 ging er nach England und studierte an der London School of Economics, wo er den Studienabschluss wegen zu vieler Fehlzeiten verpasste (und nicht, wie er ursprünglich behauptete, wegen zu reger Teilnahme an Protesten gegen den Vietnamkrieg). Vor vierzig Jahren kam er nach Hamburg, wo er sich vom Tellerwäscher zum erfolgreichen Geschäftsmann in der Hafenlogistikbranche hocharbeitete. In Deutschland fiel ihm schnell auf, dass er in eine Gesellschaft mit beschränktem Nationalbewusstsein geraten war. Deutsche, die bei der Nationalhymne nicht aufstanden, ihm auch nicht das Gute am Deutschsein erklären mochten, »haben es den Ausländern auch nicht gerade leicht gemacht mit der Integration«, sagt er.Als nach dem Mauerfall plötzlich Ausländerfeindlichkeit aufbrandete, da, sagt Karan wieder entwaffnend ehrlich, »führte ich schon ein privilegiertes Leben«. Soll heißen: Öffentliche Nahverkehrsmittel und andere Gefahrenzonen für Menschen mit dunkler Haut vermied er. Offene Feindseligkeit aufgrund seiner Herkunft habe er nie erfahren. »Aber ich weiß, dass es das gibt.« Er heiratete eine Deutsche, sie haben vier Kinder.Ende 2009 feierte Karan im Kreise der Hamburger Polit- und Medienprominenz seine Einbürgerung mit einer Hafenparty. Er war Träger des Bundesverdienstkreuzes und allgegenwärtiger Mäzen, Integration vom Feinsten. Dass er fälschlicherweise erklärt hatte, Angela Merkel höchstselbst habe ihn zur Annahme der deutschen Staatsbürgerschaft ermuntert, darf man seinem überschwänglichen Stolz zurechnen. Oder einem enorm hohen Bedürfnis nach Anerkennung.Karans autobiografischer Integrationskurs – schlingernd zwischen amerikanisch anmutender Erfolgsstory, bravem hanseatischem Bürgertum und Schill-Partei – erscheint ebenso eigenartig wie auch symptomatisch für den Wandel und die Umbrüche der Mehrheitsgesellschaft. Die Ära Sarrazin erinnert mit ihrer Parteienverdrossenheit und Koketterie mit dem rhetorischen Tabubruch an die Ära Schill. Aber so etwas, sagt Karan, »muss eine gesunde Demokratie aushalten«.Was das Spenden angeht, so hat Ian Karan beschlossen, nur noch Geld für »Kinder und Kultur« fließen zu lassen. Und für die frühere Heimat. In Sri Lanka ging 2009 einer der weltweit längsten und bittersten Bürgerkriege mit einem großen Blutbad unter tamilischen Zivilisten zu Ende. »Wir haben den Krieg verloren«, sagt er, und in seinem Hamburger Büro klingt dieses »wir« plötzlich etwas verloren. Die tamilischen Rebellen, die die Regierungsarmee bekämpften und schließlich vor ihr kapitulierten, hatten im Ausland eifrig Geld für ihren bewaffneten Kampf gesammelt. Natürlich, sagt Karan, sei auch er danach gefragt worden. Keinen Cent hätten sie gekriegt. Karan will jetzt warten, bis die Lage übersichtlich genug ist, um dort Aufbauprojekte mitzufinanzieren. Ganz lässt einen das Geburtsland nie los.Foto - Ian KaranIan Karan1939 Ian Karan wird im ehemaligen Ceylon, heute Sri Lanka geboren. Seine Mutter stirbt bei der Geburt, der Vater, ein Soldat der Luftwaffe, fällt drei Jahre später bei einem Einsatz1956 Ein Sportstipendium bringt ihn nach London, wo er an der London School of Economics studiert. Kein Abschluss wegen zu vieler Fehlzeiten1970 Ankunft in Hamburg. Er arbeitet als Tellerwäscher und gründet später das Schiffscontainer-Unternehmen Clou Container Leasing, durch das er zum Multimillionär wird2001–2004 Er spendet insgesamt 44.500 Euro an die Partei des Rechtspopulisten Ronald Schill2007 Bundesverdienstkreuz2009 Karan nimmt neben der britischen die deutsche Staatsangehörigkeit an2010 Senator für Wirtschaft und Arbeit. http://www.zeit.de/2010/46/Ian-Karan-Integration

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